Wie ein Kind das Wechselmodell erlebt

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Stell dir vor, du bist 7 Jahre alt. Deine Eltern haben sich getrennt.

Stell dir vor, du bist 7 Jahre alt und du musst eine Entscheidung treffen – für die Mama oder den Papa.

Du erinnerst dich, dass der Papa vor der Trennung kaum da war. Er kam meistens nach Hause, wenn du und deine 2jährige Schwester schon wieder ins Bett musstet. Und du erinnerst dich daran, wie laut sich die Eltern gestritten haben, dass du nicht mehr schlafen konntest.

Du hast zwar nie gesehen, dass dein Papa die Mama geschlagen hat, aber du kannst die Aggression, die von ihm ausgeht, wenn beide in einem Raum sind, fast körperlich spüren.

Du erinnerst dich an die Wochenenden, als Ihr noch eine Familie gewesen seid. An das entnervte Gesicht des Papas und daran, dass er sich oft ins Büro oder in den Keller verzogen hat, weil er, wie er sagte, sich von der anstrengenden Arbeitswoche erholen wollte.

Du erinnerst dich daran, dass deine Mama eigentlich immer da war. Wenn du dir eine Schramme geholt oder wenn du Hunger hattest. Du erinnerst dich auch daran, dass du und deine kleine Schwester immer mit der Mama zum Einkaufen am Wochenende mitgehen musstet, damit der Papa „seine Ruhe hat“.

Doch, du hast den Papa lieb und würdest total gern gaaaanz viele Dinge mit ihm machen. Mit ihm lachen, Unfug treiben, auf den Spielplatz gehen, Fangen und Verstecken spielen. Du hast eine ganz große Sehnsucht danach, und du erinnerst dich auch daran, dass das hin und wieder vorkam. Aber halt nie genug für dich.

Du verstehst jedenfalls nicht, was da gerade passiert mit all den Menschen, die dir lieb und teuer sind.

Du hörst die Mama oft weinen oder du siehst, wie sie verstohlen die Tränen wegwischt, wenn ihr in der neuen Wohnung ins Wohnzimmer stürmt.

Du verstehst, dass etwas nicht mehr stimmt mit Eurer Familie. Wie die Lehrerin oder die Horterzieherin dich immer mitleidig anschaut. Du hörst, dass ein anderes Kind im Hort auch so eine Familie hat, in der Mama und Papa sich getrennt haben.

Aber diejenigen, die noch in einer heilen Familie sind, fangen an, dich zu meiden – als ob du eine ansteckende Krankheit hättest.

Was stimmt denn nicht mit dir?

Der Papa ist böse auf die Mama, soviel steht schon mal fest. Er hat gesagt, dass die Mama ihm etwas weggenommen hat – nämlich Euch – und dass er jetzt ganz allein in dem Haus wohnen muss und Ihr ihm so fehlt! Dass er oft ganz traurig ist, weil er Euch nicht mehr ins Bett bringen darf.

Wenn er kommt, um Euch abzuholen, dann schimpft er oft an der Tür mit der Mama, und ihre Stimme wird dabei auch laut und aufgeregt. Du spürst ihre Angst, und bekommst selbst ganz viel Angst, denn wenn die Mama Angst hat, dann ist es wirklich ernst.

Wenn du dich nirgendwo festhalten kannst und der Boden unter deinen Füßen schwankt – was machst du dann?

Dein Papa erklärt dir immer wieder, dass du und deine Schwester bald genau so viel Zeit bei ihm verbringen werdet wie bei der Mami, denn er hätte einen Antrag bei Gericht eingereicht, weil die Mami das nicht erlaubt.

Sie will Euch nur für sich, und das wäre ja nicht gerecht, oder?

Du freust dich zwar, dass dein Papa mehr Zeit mit dir verbringen will und endlich nicht mehr so lange auf der blöden Arbeit ist, aber du bist verwirrt, warum der Papa immer wieder so schlecht über die Mami redet und dass sie eigentlich böse sein soll.

Aber die Mami ist doch gar keine Hexe? OK, sie schimpft in letzter Zeit wirklich oft, wenn du nicht artig bist oder viel zu lange brauchst beim Anziehen.

Vielleicht hat der Papa ja doch recht und die Mami ist wirklich böse?

Hmmm. Aber das Kuscheln, die Ruhe, die Liebe, das Spielen, ihre sanfte Stimme – all das ist doch auch immer noch da? Du bist verwirrt.

Der Papa erklärt dir ganz genau, dass es doch eine tolle Lösung ist: 5 Tage bei ihm und dann wieder 5 Tage bei der Mami zu leben. Und danach wieder 5 Tage bei ihm. Und so weiter.

Wechselmodell“ sagt er dazu.

Die Mami will ja lieber, dass Ihr nur alle zwei Wochen zu ihm kommt, und dann nur am Wochenende.

Voll ungerecht, findest du selbst, denn du bist ja schon in der zweiten Klasse und kannst rechnen.

Dann ist es soweit. Papa verkündet freudestrahlend, er hätte gewonnen. Die Mami dagegen ist ganz blass und traurig.

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Dein neuer Alltag im Wechselmodell

Du freust dich total – du hast einen ganz tollen Rollerkoffer vom Papa geschenkt bekommen! Mit Bob dem Baumeister drauf! Das erinnert dich an die letzte gemeinsame Urlaubsreise – die Mami ist nach der Trennung ja nicht mehr mit Euch verreist – und an die dolle Vorfreude damals.

In dem Koffer sollen jetzt die Sachen rein, die du immer für die Tage beim Papa brauchst.

Klar – da kommen der Teddy, Strunzi, Fiffi und das Lieblingsbuch von dem kleinen Drachen Kokosnuss rein. Die Mami packt dazu noch ein paar Anziehsachen hinein.

Die kleine Schwester kommt auch mit, klar. Sie hat noch keinen eigenen Rollkoffer, dafür ist sie ja noch zu klein.

Die ersten Wochen beim Papa sind ganz schön aufregend. Die Oma ist jeden Tag da und hilft dem Papa bei der kleinen Schwester, die echt voll viel schreit und weint. Die Oma hat ganz viel Erfahrung mit Kindern. Du liebst deine Oma, aber sie kann auch echt streng sein!

Und seit neuestem ist da die nette Nachbarin, die öfters zu Besuch kommt und auf Euch aufpasst. Dann hat die Oma mal frei. Und der Papa kann dann auch mal wieder „was für sich machen“.

Beim Papa ist jedenfalls immer was los.

Beim Papa in der Nachbarschaft gibt es auch den netten Tom, der schon 8 Jahre alt ist. Mit dem spielst du gern.

Du hast dir mittlerweile angewöhnt, den Koffer gar nicht erst groß auszupacken. Du hast noch kein Gefühl dafür, wie lang oder kurz 5 Tage sind. Kaum bist du bei der Mama – hui – sind die Tage vorbei und du musst wieder mit dem Koffer zum Papa wechseln.

Du spürst, dass der Papa irgendwie nicht „da“ ist, auch wenn er da ist. Du kannst es nicht erklären. Immer sind eine Menge andere Leute da im Haus, aber du vermisst etwas, kannst es nicht greifen.

Du hast das Gefühl, in zwei komplett unterschiedlichen Welten zu leben.

Bei der Mami gibt es Ruhe, Sanftheit und auch eigene Regeln, die mal strenger und mal weicher sind als beim Papa.

Du merkst auch, dass du, wenn du zur Mami nach Hause kommst, ziemlich böse auf sie bist. Du weißt zwar nicht genau, warum, aber ist sie nicht an allem schuld? Jedenfalls sagt der Papa das immer.

Du weißt auch ehrlich gesagt nicht, was du antworten sollst, wenn dich ein Erwachsener fragt, wo dein Zuhause ist.

Mein Zuhause? Keine Ahnung. Es gibt die Mama-Wohnung und die Papa-Wohnung.

Es ist alles so anstrengend und schwierig geworden!

Deine Freunde bei der Mama-Wohnung haben aufgehört, spontan vorbeizukommen. So oft haben sie dich nicht angetroffen, weil Papa-Woche war.

Wenn du zu einem Geburtstag eingeladen wirst, muss erst geschaut werden, bei wem du dann sein wirst und ob der Papa dann überhaupt Zeit und nicht andere Pläne an dem Nachmittag hat als dich zu einem Kindergeburtstag zu fahren.

Ist auch schon vorgekommen, dass er den Geburtstag vergessen hat oder der Mama vorwirft, dass sie immer versucht, diese Einladungen in seiner Woche zu bekommen.

Das verstehst du nicht ganz – denn schließlich hat ja das Geburtstagskind eingeladen und nicht die Mama, aber das muss Erwachsenensprech sein.

Es macht dich traurig und du wirst wütend über dich selbst, dass du fast jede Woche etwas vermisst, was wohl in der anderen Wohnung sein muss und du es vergessen hast.

Auch zum Tom kannst du nicht fahren, wie du Lust hast, wenn du gerade Mami-Wochenende hast.

Du wirst einfach ständig damit konfrontiert, dass etwas nicht mit dir stimmt und du schon wieder nicht „richtig“ funktionierst.

  • Du wirst in der Klasse immer mehr zum Außenseiter, weil es bei dir daheim so kompliziert ist.
  • Es ist dir schon sehr unangenehm, dass du am Wechseltag immer mit dem Rollkoffer und dem Schulranzen und eventuell noch den Sportsachen für übermorgen in die Schule gehen musst. Die anderen Kinder haben schon angefangen, dich deswegen zu hänseln und „Packesel“ zu rufen, wenn sie dich sehen.
  • Trotzdem fehlt ständig ein Buch oder eine Hausaufgabe, und du wirst von der Lehrerin vor der Klasse getadelt.
  • Wenn du krank bist, kann dir kein Klassenkamerad aus dem Viertel bei der Mama die Hausaufgaben vorbeibringen, wenn du gerade beim Papa wohnst.
  • Du kannst nicht an alles denken, wenn du wieder den Koffer nach 5 Tagen packen musst. Schon wieder versagt! Wie dumm bist du eigentlich?
  • In den Hockeyverein kannst du auch nicht mehr, denn der Papa will dich da in seiner Zeit nicht mehr hinfahren.

Teddy, Strunzi, Fiffi und das Lieblingsbuch bleiben mittlerweile schon längst ausschließlich bei der Mami. Damit die wenigstens ein festes Zuhause haben und nicht mehr ständig mit umziehen müssen. Außerdem tut es voll weh, wenn du Teddy schon wieder irgendwo vergessen hast.

 

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Und immer wieder diese Streitereien zwischen den beiden!

Jetzt hast du dich schon gerecht aufgeteilt, hast deine Freizeit, dein Heim, deine Zuneigung zu Fiffi und Co. aufgegeben, um es den Erwachsenen recht zu machen, und sie hören immer noch nicht auf!

Oder machst du immer noch etwas falsch?

Du bist schließlich dafür verantwortlich, dass sich die Eltern besser vertragen – denn wenn du lieb bist und alles tust, was die Erwachsenen von dir erwarten, dann muss der Streit doch mal aufhören?

Die kleine Schwester darf mittlerweile übrigens mehr Tage am Stück bei der Mama bleiben, da die Mami nochmal vor Gericht gegangen ist und eine andere Regelung für sie zugestanden bekommen hat, weil sie noch so klein ist.

Du findest das total ungerecht und fängst an, deine kleine Schwester glühend zu beneiden, wenn sie bei der Mama bleiben darf und du musst allein zum Papa wechseln. Hin und wieder zwickst du sie heimlich, weil sie es besser hat als du.

Irgendwann hast du mal zur Mama gesagt, dass du das nicht mehr machen und lieber bei ihr wohnen und nur noch am Wochenende zum Papa willst, wenn der Papa dann auch wirklich Zeit hat. So wie der Paul aus deiner Klasse das auch macht und dieser das voll ok findet.

Die Mama hat dir dann erklärt, dass das nicht geht, weil das Gericht das so bestimmt hat und deshalb alle gehorchen müssen, sonst schimpft der Richter.

Was sie dir nicht erzählt – wohlweislich – dass sie, wenn sie die richterliche Anordnung ignoriert, schlimmstenfalls sogar ins Gefängnis wandern kann oder die Kinder komplett an den Vater verlieren könnte. So à la „Wenn schon kein Wechselmodell, dann wenigstens eine feste Bleibe beim Vater.“

Möchtest du mit dem 7jährigen oben tauschen?

Möchtest du dir vorstellen, wie es ist, alle 5 Tage den Koffer packen zu müssen, um wieder in einer anderen Wohnung zu leben – mit anderen Freunden, Nachbarn, einem anderen Alltag?

Es gibt sogar ganz perfide Rhythmen alle 2 oder gar 3 Tage. Das Kind kommt nie zur Ruhe. Es ist konstant in einem Wechsel-Jetlag.

Gibt es mehrere Geschwister, die unterschiedlich wechseln, gibt es erst recht keine Kontinuität im Familienalltag. Die Kinder müssen sich jeden Tag mit Ankommen und Verabschieden beschäftigen – ein Sich-fallen-lassen-Können ist nicht möglich.

Was wir von unseren Kindern da verlangen, ist einfach nur unmenschlich.

Das Wechselmodell kann eine gute Lösung sein – aber niemals für hochstrittige Trennungen und erzwungen gegen den Willen eines Elternteils!

Ein Wechselmodell, das funktionieren kann, wird einvernehmlich zwischen Eltern vereinbart, ohne dass ein Gericht dazwischen funken muss. Beide Eltern haben das Kind im Blick und reden nicht von „Gerechtigkeit“. Ein Kind kann man nun mal nicht gerecht aufteilen!

Ein Wechselmodell, das funktioniert, wird auf Wunsch des größeren Kindes (ab ca. 11/12 Jahren oder älter) gelebt und nicht auf Wunsch der Eltern.

Die Mütterinitiative für Alleinerziehende MIA e.V. hat dazu eine Checkliste verfasst, mit deren Hilfe man überprüfen kann, wann ein Wechselmodell überhaupt Sinn macht, und wann nicht.

Jedem Richter muss klar sein, dass er mit dem erzwungenen Wechselmodell die unbeschwerte Kindheit der betroffenen Kinder aufs Spiel setzt.

Merkregel: Je jünger die Kinder sind, umso fataler sind die langfristigen Auswirkungen auf deren Psyche.

Zum Hintergrund für diesen Artikel

Ich bin Online-Coach für Mütter mit toxischen Ex-Partnern und spreche hier auch nur für diese Fälle und nicht über Trennungspaare im Allgemeinen.

Es ist mittlerweile zur Methode geworden, dass toxische Väter mit einer mutmaßlich narzisstischen Persönlichkeitsstörung nach der Trennung laut das Wechselmodell fordern – um so zum einen keinen Unterhalt zahlen zu müssen und zum anderen ihre Drohungen wahr zu machen, die sie vor der Trennung ihren eingeschüchterten Frauen eingetrichtert haben: „Dann nehme ich dir die Kinder weg.“

Ich höre immer öfter von betroffenen Müttern, dass ihre Richter sie mit dem Rücken an die Wand stellen: Entweder, sie stimmen dem Wechselmodell zu, oder die Kinder ziehen gleich komplett zum Vater.

Eine Mutter, die bislang die Hauptbezugsperson für ihr Kind gewesen ist, weil der toxische Ex-Partner vor der Trennung durch Abwesenheit, Desinteresse an der Familie, maßlosem Egoismus und Unverantwortlichkeit glänzte, kann weder einem Wechselmodell zustimmen noch zustimmen, dass das Kind gleich zum Vater zieht.

Für das Kind wäre das gleichbedeutend mit Verlassenwerden.

Sie würde daher niemals selbst das Vertrauen ihres Kindes aufs Spiel setzen und befindet sich in einer schlimmen Zwickmühle, wenn der toxische Kindsvater auf Biegen und Brechen das Wechselmodell vor dem Familiengericht erzwingen will.

Klar ist sie parteiisch! Es geht ihr schließlich nicht um Umgangsvereitelung, sondern darum, dass ihr Kind eine – trotz der Trennung – möglichst unbeschwerte, unbelastete Kindheit erleben darf – und nicht ständig einen Koffer mit sich herumtragen muss.

Wer will schon für sein Kind ein Leben, das wir selbst uns nie freiwillig antun würden?

Letztlich werden alle Beteiligten, die das Wechselmodell für ein Kind erzwingen, das sich noch nicht dagegen wehren und die Folgen überblicken kann, eines Tages einmal Rechenschaft darüber ablegen müssen.

Lassen wir es bitte nicht so weit kommen.

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