Ist der Umgang in Gefahr, wenn der Vater wieder Vollzeit arbeiten möchte?

Ich muss zugeben, ich bin stinksauer. Vor mir steht mit Schulterzucken der Vater meines Sohnes, der mir sagt, dass er sich gerade intern bewirbt, und er dann wieder auf Vollzeit umstellen muss, weil er sonst den Job nicht bekäme. Dass er dann den Umgangsmontag nicht mehr machen kann. Und ich ja keine Ahnung hätte, wie sehr er in seinem jetzigen Job unter diesem unsäglichen Chef leiden würde.

Mensch!

Ich sage zu ihm: „Nur noch zwei Jahre, dann kommt der Junge auf die weiterführende Schule und wird eh viel Nachmittagsunterricht haben. Zwei, vier weitere Jahre, und der Junge will dann nicht mehr so viel Zeit mit seinem Papa verbringen und lieber in seiner Clique abhängen.“

Ich sage: „Nur zwei Jahre. Was sind für uns im Erwerbsleben zwei popelige Jahre. Für unseren Sohn sind diese zwei Jahre unbeschwerte Kindheit. Eine Art Impfung für die schwierige Pubertät. Eine Art Grundstein für unsere Beziehung zu ihm.“

Ich sage auch: „Wenn du ein alter Mann bist, wirst du diesen zwei verschenkten Jahren hinterher weinen.“

Ich habe keine Ahnung, wie schlimm es ihm dort im Job ergeht, meint er. Es ist ja nicht so, dass er nicht mehr Teilzeit arbeiten wolle, um Zeit mit dem Kind zu verbringen. Aber es geht dann halt nicht mehr.

Stimmt – ich habe keine Ahnung, wie schlimm es ihm in seinem Job geht.

Aber ich weiß noch gut, wie er in der Vergangenheit über die anderen Chefs, die er davor gehabt hatte, geredet hat.

Es war immer schlimm und schrecklich. Alle Chefs waren doof.

Ach, ich kann es nicht mehr hören!

Ich weiß, dass das unfair klingt. Und ja – ein Mantra der Eltern in unserer Gesellschaft ist doch gerade, dass es uns gut gehen sollte, damit es auch unseren Kindern gut gehen kann.

Natürlich kann auch mein Ex dieses Argument ziehen. Aber ich erkenne die Absicht und bin verstimmt.

Es geht hier nämlich überhaupt nicht um unser Kind. Sondern nur um ihn. Warum kämpft er nicht um den Erhalt seiner Teilzeit? Schließlich arbeitet er immerhin 35 anstelle von 40 Stunden, das sind doch schon mal mehr als auf einer herkömmlichen Teilzeitstelle. Er hatte diese 35 Stunden so gelegt, dass er an 4 Tagen arbeitet und den Montag dafür frei hat. Welcher Manager kann etwas dagegen haben, wenn er eine fähige Fachkraft einstellen will, und diese Art von Vereinbarung intern schon gegolten hat, also die Firma per se eigentlich kein Problem damit hat? Welcher Job könnte mit lediglich 5 Stunden weniger nicht auch erledigt werden? Wenn der komplett freie Montag ein Problem ist, wieso verhandelt der Ex dann nicht zumindest einen halben Tag Büroanwesenheitszeit, und mittags fährt er heim zum Kind? Wieso soll das bei dem neuen Job nicht möglich sein?

Nee, kämpfen oder sich gute, verhandelbare Alternativen ausdenken im Sinne eines guten Umgangs ist nicht unbedingt seins. Das ärgert mich allein schon kolossal. Und ich spüre noch etwas: Dass das jetzt mein Problem ist. Das wurmt mich noch mehr.

Der Umgangsmontag ist nämlich bislang der einzige Tag in der Woche, an dem ich ganztags arbeiten kann, was in meinem Job mit einem Team und einer Chefin in Kanada enorm wichtig ist. Und unser Sohn an dem Tag natürlich nicht fremdbetreut wird – weil ja bislang der Vater da war. Und der Vertrag mit dem Hort nicht erweitert werden kann, weil die schon am Limit sind. Und und und.

Das heißt zukünftig für mich: Das Kind ist bei mir daheim, während ich von zu Hause aus arbeiten muss. Gottseidank habe ich wenigstens die Möglichkeit, von zu Hause aus zu arbeiten. Aber optimale Arbeitsbedingungen sehen anders aus. Und meine montäglichen Telefonkonferenzen mit dem Team werden eine echte Herausforderung.

Aber all das ist eigentlich nachrangig. Mit mir verbringt der Sohn eh schon genug Zeit. Er braucht nicht mehr Mutter, sondern mehr Vater.

Warum setzt der Vater eine gute Lösung aufs Spiel?

Wir haben, wie ich finde, eine sehr gute Umgangslösung: Alle 2 Wochen von Freitagabend bis Montagmorgen und jeden Montagnachmittag nach der Schule weitere 7 Stunden Papazeit für unseren Sohn. Ich habe Väter gekannt, die eine solche Umgangsregelung mit Kusshand genommen hätten. Weil die Ex mit dem Kind weiter weg gezogen ist, sodass sich ein Zusatznachmittag zeitlich nicht lohnte bzw. überhaupt nicht machbar war. Ich habe Väter gekannt, die nur samstags von 10 bis 18 Uhr ihre Tochter sehen konnten und sie dann in dieser knapp bemessenen Zeit entertainen mussten (bzw. dachten, sie müssten sie entertainen, um die wenigen Stunden so einzigartig wie möglich zu gestalten).

Ich habe gedacht: Bei uns läuft es anders. Uns beiden geht es um das Kind. Mein Ex hält sich den Montag frei, ich mir den Freitag. In die Fremdbetreuung muss er nur an 3 Tagen in der Woche (Mann, wie habe ich dafür gekämpft, dass dem Vater der Montag erhalten blieb, als es vor knapp 2 Jahren darum ging, den Hortvertrag auf einen Ganzzeitvertrag umzustellen!). Und ich war stolz, wie gut unser Sohn gedieh. Ein sozial verträglicher, umgänglicher Bub, der überall gern gesehen ist und immer gute Laune hat. Und deutete das als Ergebnis unserer guten Elternarbeit als Getrennterziehende.

Was sicherlich auch stimmt. Um es ganz klar zu sagen: Zur guten Erziehung und Beziehung zum Kind gehören immer zwei.

War es doch ein Trugschluss, dass ich dachte, der Vater sieht das genauso wie ich? Wieso riskiert er das?

Wie sag ich’s meinem Kind?

Am meisten graust es mir vor dem Tag, an dem ich meinem Sohn erklären muss, dass es den Montagnachmittag mit seinem Papa allein nicht mehr geben wird.

Wohlgemerkt – noch hat er den Job ja nicht. Noch ist alles offen.

Von daher werde ich mich hüten, mit meinem Sohn schon heute darüber zu sprechen.

Du denkst jetzt wahrscheinlich auch, dass es die Aufgabe des Vaters ist, dem Sohn zu erklären, wenn er keine Zeit mehr für ihn hat. Und du hast Recht. Er wird das bestimmt auch tun, aber ich rechne damit, dass das Kind auch mit mir darüber reden will, und dann sollte ich vorbereitet sein.

Wahrscheinlich wird von mir erwartet, dass ich meinem Sohn erkläre, dass der Papa nun mal Geld verdienen muss.

Aber wie soll ein Kind das verstehen, wenn es noch nicht den Bezug zu Geld aufbauen konnte? Schließlich hat der Papa doch auch vorher schon Geld verdient und dem Kind hat es an nichts gefehlt?

Wie soll es verstehen, dass hier Geld und Zeit gegeneinander aufgewogen werden? Oder noch abstrakter – wenn ein schlechter Chef durch einen anderen Chef ersetzt wird?

Nee, das geht alles nicht. Ich stehe da, und es grämt mich, weil ich heute schon den Schmerz zu spüren glaube, den mein Kind demnächst empfinden wird: Das Gefühl des ersten Verlusts in seinem Leben.

Ich möchte es so gern beschützen! Ich möchte ihm die heile Welt so lange wie möglich erhalten.

Natürlich hat er noch den zweiwöchentlichen Umgang, der Vater ist also nicht komplett weg. Aber es werden auch keine drei Nächte mehr am Stück sein, denn der Vater wird höchstwahrscheinlich nicht morgens vor der Arbeit noch schnell sein Kind in die Schule bringen wollen. Er wird wieder der Wochenend-Papi werden, das bisschen Alltag werden die Hausaufgaben sein, die über das Wochenende gemacht werden müssen.

Mal ganz davon abgesehen, dass es einen Riesenunterschied macht, ob sich Vater und Kind mindestens einmal in der Woche sehen oder nur alle zwei Wochen Umgang miteinander haben.

Dabei hatte ich den Eindruck, dass gerade in den letzten Monaten beide großen Spaß zusammen hatten. Dass der Junge jetzt genau in diesem „Große-Kinder-Alter“ ist, mit dem Männer am meisten etwas anfangen können.

Von daher glaube ich es auch, wenn mein Ex sagt, dass er das nicht verlieren will.

Aber ich glaube auch, dass er, wenn er mit fliegenden Fahnen und ohne Kampf ins Vollzeitlager zurück wechselt, keine kluge Entscheidung trifft. Er kann sich offensichtlich den Preis nicht vorstellen, den er bezahlen muss, wenn er für einen Job eine unwiederbringliche Zeit mit seinem Sohn aufs Spiel setzt, der ihn gerade jetzt braucht wie ein Schiff einen Leuchtturm auf bewegter See.

Wie gehe ich am besten damit um, ohne aus dem Fenster zu springen?

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Es ist zum Haare raufen. Aber ehrlich: Kann ich etwas daran ändern? Nein. Habe ich je eine Verhaltensänderung bei ihm bewirken können, selbst in der Zeit, als wir noch ein Paar waren? Auch nein. Werde ich also meinen Sohn vor dieser Erfahrung beschützen können? Ebenfalls Fehlanzeige. Leider.

Eins weiß ich allerdings: Ich werde das Beste aus der Situation machen. Solche Entscheidungen werden immer wieder unseren Weg kreuzen. Ich hatte gehofft, der nächste, größere Einschnitt würde erst mit 10 oder 11 Jahren passieren. Nun kommt er wahrscheinlich schon zwei Jahre früher, aber wir brauchen auch nicht undankbar zu sein. Schließlich hatte mein Sohn gute 7 Jahre seit unserer Trennung einen überdurchschnittlich häufigen Kontakt zu seinem Papa. Und wer weiß, welche positiven Effekte diese Veränderung im Umgang meinem Sohn noch bringen wird. Ich lasse mich gern überraschen.

Fazit

Falls du dich gerade in einer ähnlichen Situation befindest und du gehofft hattest, dass ich dir an dieser Stelle eine Liste à la „3 Lösungsstrategien, wie du am besten damit umgehst“ präsentiere, muss ich dich leider enttäuschen.

Es gibt nicht immer Lösungen für alles und jeden. Auch nicht von mir.

Ich jedenfalls habe mich dazu entschieden, dass ich mich nicht über Gebühr über Sachen aufregen werde, die ich eh nicht beeinflussen oder ändern kann. Das ist ja ganz schlecht für den Teint und macht so hässliche Falten, die ab 50 nicht mehr weggehen 😉

Wenn es so weit ist, werde ich für meinen Sohn ein paar Tränen verdrücken vor Trauer über diesen wertvollen Verlust im regelmäßigen Umgang. Und dann wieder das Beste geben, was ich als Mutter geben kann. Mehr bleibt mir auch nicht übrig.

In der Zwischenzeit hoffe ich, dass der Vollzeitkelch an ihm vorüberzieht.

Wie siehst du das? Hättest du andere Ideen – oder sogar Lösungsvorschläge für mich? Ich freue mich über deinen Kommentar.